Löwenmutter

Weihnachten im Krankenhaus. Häschen aß nichts, trank nichts, hatte über 40 Fieber. Das einzige was ich in sie rein bekam war die Flasche. Spezialnahrung Neocate bekam die Klinik über die Feiertage nicht. Wir mussten auf unsere privaten Reserven zurück greifen die durch den Ausnahmekonsum schneller zuneigen gingen als geplant also standen wir nach den Feiertagen ohne Flaschennahrung da.

Gleich am ersten Tag suchte ich die Praxis unseres Allergologen auf um ein Rezept für Häschens Neocate Infant zu holen , dass Essen lief noch schleppend und mein Kleines sah schon wieder so dürr, zerbrechlich und geschwächt aus.

Häschen blieb zu Hause bei Oma, sie sollte sich noch ausruhen Es ging ja schließlich nur um ein Rezept das kann man ja auch so zwischen Tür und Angel abholen. Dachte ich.

In der Praxis war es wie zu erwarten nach den Feiertagen brechend voll. Ich stellte mich in die Schlange vor dem Tresen und wartete brav bis ich dran war.

Haben sie angerufen ?

Nein , habe ich nicht. Wie wäre es mal mit einem -guten Tag- zu Beginn des Satzes. Blond gelockt, jung und schlecht gelaunt saß sie nun da mit einer Überheblichkeit die mich schon etwas einschüchterte. Ich, ihr Gegner , war schließlich geschwächt. Übermüdet , hoch schwanger, ungeschminkt und ungekämmt in Jogginghose , schwitzend unter der Winterjacke. Barbie gab mir schnell zu verstehen wessen Revier das hier war.

Noch relativ gelassen schilderte ich ihr den Zustand meiner Tochter, mein Anliegen, den genauen Namen der auf dem Rezept drauf stehen müsste und gab ihr vorbildlich organisiert ohne Aufforderung die Chipkarte sowie den Krankenhausbericht.

Das meine Tochter nicht essen würde, hätte ja nichts mit dem Zustand zu tun das sie im Augenblick sechs Zähne auf einmal bekam. So lautete die kompetente Diagnose von Schwester Barbie.

Es war soweit , meine Hormone mischten sich wieder ein und produzierten Gewaltfantasien in denen ich die Damen an ihren blonden Locken ziehend über den Tresen zog und ihr klar machte das sie weder mein Kind noch ihr Gemüt kenne.

Der Doktor ist nicht da, sie müsse erst einmal mit Frau Doktor reden aber es ginge ja gar nicht das ich hier einfach rein komme, ohne Kind und nach einem Rezept verlange.

Ok, ohne Kind in eine Kinderarztpraxis kommen führt also schon einmal zur Steinigung.

Ich bin eigentlich eine gut erzogene Patientin und stets bemüht den Damen so wenig Arbeit wie möglich zu machen.

Die Schwestern meiner Kinderärztin haben mich nicht nur geprägt, sie haben auch ein Stück weit zu meiner Erziehung beigetragen da ich dank meiner Krankenheitsgeschichte nicht selten zum Arzt musste. Nun arbeiten sie für die Kinderärztin meiner Tochter. Wir blicken also auf 20 gemeinsame Jahre zurück in denen mir gut beigebracht wurde was sich am Tresen gehört und was nicht.

Wenn ich ein Rezept für meine Tochter brauchen dann mache ich es so wie ich es schon bei meiner Mutter gesehen habe. Ich komme schnell und unkompliziert , ohne Kind und Kegel in die Praxis, formuliere kurz und knapp was ich benötige, im Pc wird nachgesehen das es sich hierbei um eine uns bekannte Arznei handelt, Chipkarte wird eingelesen, Rezept gedruckt, vom Arzt unterschrieben, Mama ausgehändigt und schwups war der zusätzliche Arbeitsaufwand kaum zu spüren.

Aber nicht so hier, nicht in dieser Praxis und erst recht nicht mit Schwester Barbie. Die nun ihre Goldlocken schwingend , zum Arztzimmer dahin schritt um meine Unverschämtheit abzuklären.

Danke fürs Bescheid sagen, ich bleibe dann mal wie ein Depp ihr stehen ohne zu wissen wie es weiter geht.

Nach zwei Minuten kam sie dann wieder heraus und nahm die nächste Person in der Schlange dran während ich weiterhin am Tresen auf den Bus wartete.

Ich setzte mich, nun reichte es mir. Verschwitzt , gereizt und übermüdet setzte ich mich gut sichtbar vom Tresen aus auf einen der Stühle und wartete.

Ca. 10 Minuten später schwang sich mein blonder Engel dann zu mir herüber um mir vorwurfsvoll zu verkünden das der Doktor mir doch beim letzten Mal gesagt hätte ich könnte meiner Tochter Kuhmilch geben. Die Blutwerte sein ok und sie solle ab jetzt Milch trinken.

Das Fass war über! Ich konnte nicht mehr an mich halten und wurde nun pampig. Scheiß auf meine gute Sprechstundenhelfer-Erziehung, jetzt war sie Freiwild für meinen Hormoncocktail.

War ich den nun total neben der Spur ? In meiner Erinnerung war das letzte Arztgespräch fest mit dem Ausgang verankert das Häschen ab sofort Sojamilch bekommen solle und wenn sie diese ablehnt wird mit Neocate weiter machen. Natürlich wählte die kleine Prinzessin den komplizierten Weg und bestand auf Neocate. Aus diesem Grund bin ich hier und nicht weil ich nichts mit meiner Zeit anzufangen weiß während ich ein krankes Kind zu Hause habe.

Alle Versuche Barbie von meiner Version des letzten Arztgesprächs zu überzeugen scheiterten. Zickig und angefressen ging sie zurück ins Zimmer um sich wieder mit Frau Doktor zu besprechen.

Durch die Tür hörte ich wie die Ärztin sagte, dass ein Termin für eine Provokation vereinbart werden solle.

Es wurde immer schlimmer. Ich wollte doch nur ein Rezept für unsere, altbekannte Spezialnahrung. Erst die wilden Unterstellungen ich würde meinem Kind die Kuhmilch vorenthalten, vermutlich noch eine Allergie die nicht vorhanden ist simulieren und dann wollen die meinem Häschen auch noch eine Milchprovokation antun ?

Innerlich betete ich das es sich bei dem Gespräch um ein anderes Kind handelte aber als Blondi aus dem Zimmer kam und auf mich zusteuerte mit einem Terminzettel in der Hand , schossen mir die Tränen in die Augen. Alles kam auf einmal zusammen. Wut, Machtlosigkeit, Verzweiflung, Angst, Hormone und Müdigkeit.

Das kann nicht ihr Ernst sein! Die letzte Provokation ist erst drei Monate her und die ging gewaltig in die Hose. So richtig mit Bauchweh, schleimigen Stuhlgang, Übelkeit und schlafloser Nacht. Das wollen die meinem Häschen jetzt doch nicht wieder antun.

Der letzte Stand war , dass wir nun ein halbes Jahr Ruhe haben, vielleicht sogar ein Jahr. Je nachdem wie sie sich entwickeln würde. Ruhe und Sicherheit wurden uns versprochen.

Ich erklärte Blondi das es erst eine Provokation gab die daheim durchgeführt wurde unter Anleitung der Kinderärztin.

Darüber gäbe es keine Aufzeichnungen und der Doktor hätte mir angeblich gesagt das Häschen nun Kuhmilch bekommen könnte. Lassen wir keine Provokation machen, wird kein Neocate mehr aufgeschrieben. Totschlagargument.

Ich nahm den Termin unter Tränen an sowie das letzte Rezept Neocate das vorläufig reichen sollte.

Ja Barbei du hast gewonnen. Schwer verwundet zog ich mich aus der Schlacht zurück, verließ die Praxis und zog auf dem Gang die frische , relativ virenfreie Luft ein. Ich musste dort erst einmal raus. Einen klaren Kopf bekommen und mich beruhigen.

Unten angekommen suchte ich die nächste Apotheke auf um Häschens Neocate Infant zu bestellen. Und dann der nächste Schock. Active, die Ärztin hatte tatsächlich Neocate Aktive aufgeschrieben anstatt Infant. Ich ließ mir von der Apothekerin den Unterschied erklären und beschloss die Packung gar nicht erst an zu brechen. Die Dosierung war eine ganz andere und es glich eher einem Milchgetränk statt einer Trinknahrung. So jedenfalls die Aussage der Apothekerin. Wie soll mein Kind so sein Gewicht halten, wie soll ich über 300ml in der Nacht mit Kind auf dem Arm zusammen mixen, wie soll der kleine Magen soviel fassen. Sie hatte das Gewicht und die Größe eines acht Monate alten Kindes und war nicht bereit für die Folgenahrung. Vielleicht hätte ich für dieses Problem eine Lösung gefunden aber ich wollte es ganz einfach nicht. Mir wurde die gesamte Situation zu viel und ich sehnte mich nach unserer Routine.

Nun für Eltern von gesunden Kindern scheint das ganze etwas überzogen und übertrieben zu wirken. Aber die Aussicht darauf das dem eigenen Kind allergene Stoffe verabreicht werden , kann tatsächlich zur Panik und Verzweiflung führen wenn man als Eltern einmal miterlebt hat wie das Kind unter diesem Stoff leiden kann.

Sie war erst vier Monate alt als die Reaktion plötzlich und heftig auftrat. Sechs mal in einer Stunde erbrach sie sich bis ihr kleiner, zarter Körper in meinen Armen zusammen sackte. Mein Mann fuhr ins Krankenhaus, ich saß mit einem apathischen Baby auf der Rückbank und versuchte das Erbrochene aufzufangen, ihr die Angst zunehmen, sie zu schützen. Dann die typische Tour durch die Notaufnahme. Wiegen, Zugang legen, Infusion, Blutabnahme. Angst und Tränen über Stunden. Und dann dieser geschwächte, leblose Körper meiner Tochter. Kurz darauf setzte der Durchfall ein. Erst nur schleimig, dann kam das Blut hinzu und das zehn Tage lang.

Ja das war damals die Hölle. Die letzte Provokation war im Vergleich dazu entspannt aber dennoch nicht schön und alte Ängste und Erinnerungen kamen hoch.

Also bitte, warum kann man uns nicht etwas in Ruhe lasse. Wir kamen erst vor einem Tag aus dem Krankenhaus. Tage lagen hinter uns in denen Häschen wieder Ängste ausstehen musste.

Daheim angekommen hatte ich mich etwas beruhigt. Aus Schock und Angst wurde Wut. Nein, wir werden keine Provokation machen. Wir bekommen das auch so hin. Erst einmal muss ich unseren Arzt zugreifen bekommen. Mit ihm im Rücken wird bestimmt alles gut. Das letzte Gespräch hatte ich mir nicht eingebildet. Auch er wollte Häschen keine Kuhmilch verabreichen. Er bestand auf Ruhe und Zeit, nicht auf eine Provokation. Dessen war ich mir sicher also rief ich in der Praxis an und verklickerte Blondi das ich einen Termin bei ihm haben will vorher wird hier gar nichts provoziert. Tja, Blondi argumentierte das die Sprechzeiten nun vorbei sein. Ich solle in zwei Tagen noch mal anrufen. Und wie ich anrief. Aber niemand ging ran. Tagelang , eine Woche verging aber ich war weiterhin fest dazu entschlossen keine Provokation durchführen zu lassen also holte ich mir Neocate auf eigene Kosten in der Apotheke. Die schlaue Allergie-Mutti hatte nämlich noch ein Privatrezept aus der Klinik in der Hinterhand. Ja Blondi, damit hast du nicht gerechnet.

Als auch diese Packung aufgebraucht war stiegen wir auf HA Pre Nahrung um, da Häschen wieder sehr gut isst und es sich dann nur noch um eine Falsche am Tag bzw. in der Nacht handelt.

Einen Tag später dann der ersehnte Anruf von unserem Arzt. Der Termin zur Provokation wurde abgesagt, es sei viel zu früh und eine unnötige Belastung. Er schreibt uns wieder Neocate Infant auf und ich könne mir das Rezept problemlos in der Praxis abholen. Nebenbei bekam ich noch ein Lob für meine Hartnäckigkeit.

Tja ihr könnte euch ja denken wer morgen wie eine Schneekönigin zu Blondi in die Praxis schweben wird und sich das Neocate Infant Rezept abholt.