Geburtsbericht
- Fräulein
- 26. Feb. 2018
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Apr. 2018
Samstag Morgen.
Mir war übel, so richtig eklig übel und mein Magen zog sich unangenehm zusammen. War das der Magen ? Oder doch die Gebärmutter? Ich bekam Durchfall und betete zu Gott das es jetzt kein Magendarm Virus war. In drei Stunden würden meine Schwiegereltern auf der Matte stehen. Vielleicht rebellierte mein Körper auch dagegen. Besuche meiner Schwiegermutter setzten mich schon immer extrem unter Stress. Doch dann drängten sich die Schmerzen in den Forderung und mir wurde klar das es nun los ging.
Ich rief die Hebamme an die so ziemlich zeitgleich mit unserem Besuch eintraf. Ich ging mit ihr ins Schlafzimmer wo sie eine Muttermunderöffnung von fünf cm feststellte. Energisch und bestimmt wie eine schützende Hebamme eben sein kann ging sie zurück ins Wohnzimmer und schickte meine Schwiegereltern aus der Wohnung welche nun drei Stunden umsonst von Rügen zu uns runter gefahren waren. Doch die Wohnung war einfach zu voll und ich brauchte Platz zum atmen.
Wir fuhren in die Klinik während Häschen sich einen schönen Tag mit meiner Mutter machen sollte.
Ich war entspannt und dennoch zeitweise etwas weinerlich. Meine Gefühle durchlebten ein auf und ab welches ich von der ersten Entbindung nicht gewohnt war.
Als wir in der Klinik ankamen, in der ich ein Jahr zuvor schon das Häschen zur Welt brachte, war es erst 12 uhr Mittags und der Kreißsaal war leer.
Als ich das Häschen damals entband war es mitten in der Nacht und die Abteilung platze aus allen Nähten. Meine damalige Hebamme rotierte zwischen den Frauen nur so hin und her und konnte keiner von uns die nötige Aufmerksamkeit geben. Soviel schon mal zum Hebammen Mangel in den deutschen Kliniken.
Dementsprechend erleichtert war ich natürlich als wir in einer sehr entspannten Atmosphäre ankamen. Die Hebamme die uns in den Kreißsaal brachte bot mir eine Wassergeburt an welche ich dankend annahm. Alles wirkte so perfekt. Die schöne große Wanne, der leere Kreißsaal, die tolle Hebamme, die mütterlich und ruhig mit mir sprach. Wir machten es uns auf dem Bett bequem und das CTG wurde angeschlossen. Ich spürte schon das die Wehen weniger wurde und meine Befürchtung bewahrheitete sich als die Hebamme nach einer Stunde meinte das ich wohl vorerst auf Station gehen müsste. Wie ich es gewünscht hatte , bekam ich noch einen Einlauf. Der letzte Versuch die Wehen anzukurbeln doch auch das brachte nichts. Der Raum mit der Wanne wurde für mich reserviert und ich ging mit Häschens Papa hoch auf Station.
Ich hoffte das es spätestens zum Abend hin los gehen würde doch die Wehen blieben fern, was blieb war die unerträgliche Übelkeit und eine innerliche Kälte die mich zum zittern brachte.
Zwei Tage verstrichen.
Ich hatte das Gefühl vor Sehnsucht nach meinem Häschen sterben zu müssen. Noch nie waren wir so lange von einander getrennt gewesen. Noch nie haben wir die Nacht ohne einander verbracht. Es tat so weh und die Ungeduld machte sich in mir breit. Doch am Muttermund tat sich nichts weiter. Die Ärzte rieten mir davon ab nach Hause zu gehen. Mein Befund sei riskant. Der Muttermund zu weit offen und die letzte Geburt läge noch nicht so lange zurück. Es könnte jeden Augenblick ganz schnell gehen. Also blieb ich. Widerwillig und mit Herzschmerz.
Ich rannte Treppen. Trug meine Tasche von A nach B. Trank Tee, ließ mir die Lendenwirbelsäule massieren. Bettelte die Ärzte nach einer Blaseneröffnung an.
Montag Nacht.
Meine Zimmernachbarin kam aus dem Kreißsaal zurück. Mit Baby. Oh wie neidisch ich war. Die könne bald gehen. Hat ihr Mäuschen im Arm und nun alles hinter sich. Es war etwa zwei Uhr morgens und ihre Rückkehr weckte mich und rief meine Blase ebenfalls wach. Als ich von der Toilette wieder kam traf mich dieser kalte, harte Schmerz im unteren Rücken. Da waren sie. Die Erinnerung an diese Schmerzen wurden wach. Ja das sind sie, so fühlte sich das an. Ich legte mich wieder ins Bett und wollte die ganze Sache noch etwas beobachten , doch schon die nächste Wehe brachte mich dazu nicht mehr alleine sein zu wollen. Also rief ich vorne im Schwesternzimmer an. Ich solle meine Akte holen und runter in den Kreißsaal gehen.
Holen ? Und gehen ? Ich war nicht sicher ob ich das noch schaffen würde bei dieser Intensität der Schmerzen. Aber erst einmal musste ich mir die Zähne putzen. So wollte ich nicht los ziehen. Dabei rief ich Häschens Papa an der sich sofort auf den Weg machte.
Die Geburt.
Ich schaffte es zum Schwesternzimmer, nahm meine Akte und ging fest davon aus das man mich runter in den Kreißsaal bringen würde. Es war drei Uhr morgens und ich konnte kaum grade stehen vor Schmerzen. Aber ich wüsste doch wie man zum Kreißsaal komme, war die Antwort die ich kassierte auf meine Frage hin ob mich jemand begleiten könnte , vielleicht sogar mit einem Rollstuhl. Die Frage war wohl unverschämt, doch wäre ich nicht die erste Frau gewesen die samt Rolli runter gebracht wurde. Im Laufe der letzten Tage war das wohl ein normaler Prozess bei Frauen mit starken Wehen. Nur eben nicht jetzt, nicht um drei Uhr Morgens.
Gut , die konnte mich mal, half ja alles nichts also ging ich los. Diesen unendlich langen Flur entlang bis zum Fahrstuhl. Dort angekommen erwischte mich die nächste Wehe die nun alle fünf Minuten kamen. Schmerz betäubt konnte ich mich nicht darauf konzentrieren auf welchen der Köpfe ich drücken musste und dann platze die Fruchtblase. Reis dich zusammen! Schoss es mir durch den Kopf. Als der Schmerz nachließ nutze ich die Pause um klar denken und agieren zu können. Ich spürte das es langsam eng wurde und Panik überkam mich. Das Fruchtwasser floss mir am Bein entlang und die nächste Wehe würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich fuhr gefühlt eine Ewigkeit ins Erdgeschoss.
Am Kreißsaal angekommen überkam mich auch schon die nächste Wehe.
Die Hebamme die mich in Empfang nahm war jung, aufgedreht und so scheiß freundlich. Aber nicht auf so eine mütterliche und warmherzige Art und Weise sondern mit so einem bescheuerten Dauergrinsen. Und dann fragte sie mich allen ernstes was mich zu ihr führen würde.
Wollten die mich hier nun alle verarschen ? Ja was zum Teufel mache ich wohl Morgens um drei , schmerzgekrümmt und mit einer pitschnassen Hose im Kreißsaal. Ist ja nicht so als wenn mein Bauch zu übersehen gewesen wäre.
Nach einem kurzen Dialog führte sie mich in ein Untersuchungszimmer um den Muttermund zu prüfen. Er war noch immer bei fünf cm aber ich gab ihr zu verstehen das die Wehe schon eine sehr deutliche Schmerzqualität haben.
Sie brachte mich zum CTG und erwähnte das wir danach in den Geburtsraum gehen würden. Ich fragte nach der Wanne aber sie winkte ab und meinte das er belegt sei obwohl sie kurz zuvor sagte das der Kreißsaal leer war. Vielleicht war er noch für mich geblockt und ich bat sie nachzusehen. Sie würde schauen was sie tun kann aber versprechen kann sie nichts. Blöde Kuh. Ich mochte ihr Grinsen nicht und die Art wie sie mit der Situation umging. Die Dame war kaum älter als ich und tat so als würde ich alles über dramatisieren. Ich war weinerlich, unruhig und leicht passiv aggressiv aber das war doch noch lange kein Grund mich nicht ernst zunehmen. Schon bei der Aufnahme geriet ich an eine Ärztin die aussah wie Ariana Grande und kaum älter als zwölf zu sein schien.
Arbeitete hier den nur Teenager ? Wo war die tolle Hebamme die mich am Samstag entgegen nahm? Wo waren diese mütterlichen und warmherzigen Damen die einem das Gefühl gaben das alles gut gehen würde. Die mir die Angst nahmen und mich ernst nahmen?
Ich lag also am CTG und die Grinsebacke legte mir die Klingel mehr schlecht als recht auf die Liege. Sie verabschiedete sich mit dem Satz das sie gleich wieder da sein würde und schloss die Tür hinter sich. Die nächste Wehe kam und dieses mal war sie heftig , so richtig heftig. Ich kramte mein Handy aus der Tasche und Rief Häschens Papa an. Er sollte noch einmal schnell ins Zimmer und den Fragebogen für die PDA holen. Ich hatte ihn im Rucksack vergessen und würde ihn brauchen wenn die Schmerzen nun schon so unerträglich waren.
Eine ältere , leicht schusselige Dame kam ins CTG Zimmer und ich bat sie um eine Decke weil ich am ganzen Körper unkontrolliert zitterte. Mir war nicht kalt aber ich konnte nicht aufhören zu zittern. Sie hätte jetzt keine aber ich würde eine im Kreißsaal bekommen. Ok dann eben keine Decken aber ob sie mir doch bitte die Klingel geben könne , die war mittlerweile von der Liege gerutscht. Ja also da käme sie jetzt schlecht ran aber ich werde gleich in den Kreißsaal gebracht, es würde jeden Moment los gehen der Boden müsste nur noch trocknen.
Gut dann eben auch keine Klingel. Innerlich kochte ich doch ich war zu schwach um mich zu Wehr zu setzten. Die Wehen gingen allmählich über in einen konstanten Schmerz. Die Abstände hatten sich drastisch verkürzt und die Dauer verlängert. Unter den Schüben war ich nicht mehr in der Lage zu reden , zu denken oder mich gar zu bewegen.
Die Frau verließ das Zimmer wieder und schloss hinter sich ebenfalls die Tür.
Und dann übermannte mich auch schon die nächste Wehe und sie hörte nicht auf. Ich versucht sie weg zu atmen doch der Schmerz linderte sich darunter nicht.Warum ging das nicht mehr ? Ich hatte das doch in der letzten Dreiviertelstunde so gut hinbekommen. Warum ebbte der Schmerz nicht mehr ab ? Wo war der Fall nach dem schmerzlichen Höhepunkt ? Da passiert etwas was jetzt so nicht passieren sollte, nicht konnte, was war los ? Ich schrie , blind und taub vor Schmerz , nicht wissend wo oben und unten war schrie ich aus voller Kraft. Jetzt würde jemand kommen und mich holen, mir helfen. Die müssen mich hören, so laut , so ängstlich, dass konnte man nicht überhören aber es kam niemand und ich hörte nicht auf zu schreien. Wo kam diese Energie her ? Wo war mein Atmen ? Wieso hörte ich nicht auf zu schreien und wie konnte ich das so lange aushalten ?
Ohne groß nach Luft zu schnappen schrie ich also nach Hilfe. Das muss doch alarmieren ?
Ich arbeite selber in einer Klinik und wenn das Wort Hilfe über den Flur ertönt dann rennt alles und jeder aus jeder Richtung der Station, dass würde jetzt auch hier passieren. Ich war so sicher doch mein Plan ging nicht auf. Wo blieb die Hilfe ? Warum half mir niemand ? Wo zum verdammten Teufel war meine Hebamme ? Ich brauchte Hilfe. Panik und unbeschreibliche Angst dehnte sich in mir aus so wie der Kopf meiner Tochter der sich nun den Weg durch meinen Scheideneingang bahnte. Ich spürte ihren harten Schädel der nicht genug Raum hatte. Auf der Seite liegend hatte ich keine Kraft um in die Rückenlage zu kommen , stattdessen krallte ich mich verzweifelt an der Liegenkante fest, die Klingel , welche am Boden lag fest im Blick doch kam ich nicht ran ohne von der Liege zu steigen. Aber ich war bewegungsunfähig. Es war nicht im geringsten daran zu denken von dieser Liege zu steigen. Unterdessen schrie ich weiter nach Hilfe. Noch nie in meinem Leben habe ich mit soviel Angst und so viel Energie dieses Wort aus mir heraus gebrüllt. Und noch nie habe ich diese pure Angst und Verzweiflung gespürt als mir bewusst wurde das mich niemand hörte.
Die Tür flog auf, eine junge Frau kam schnellen Schrittes herein. Plötzlich stand sie neben mir, hielt meine Schulte und fragte was mit mir sei. Sie war jung aber zumindest schon volljährig und sie hatte diese warmherzige und beruhigende Stimme. Als sie sprach , da wusste ich das nun alles gut werden würde.
Immer noch panisch schrie ich sie an das mein Baby kommt und das es so fürchterlich brennt.
Sie dreht mich auf den Rücken , zog mir die Hose herunter und dann kam der Satz den ich wohl niemals im Leben vergessen werde.
Du bekommst dein Baby jetzt hier.
Sie lief auf den Flur und brüllte nach einem Arzt.
Eine rothaarige Schönheit mit holländischen Akzent kam hinzu, checkte die Lage und fragte die junge Hebamme ob wir es noch in den Geburtsraum schaffen würden. Diese verneinte und nun schaltete auch ich mich wieder ein. Ich hörte meine Stimme, schrill , fremd und von ganz weit weg die Damen anschnauzen das wir jetzt verdammt noch mal hier bleiben weil es scheiß weh tut.
Gut. Also dann machen wir es hier. Entschlossen trafen Ärztin und Hebamme noch die letzten Vorkehrungen und ich hörte eine der beiden etwas von Herztönen murmlen die sie nicht fand.
Verkackt das jetzt bloß nicht, schoss es mir durch den Kopf. Da wartet ein kleines Mädchen zu Hause auf seine Mami. Ich konnte nur noch an das Häschen denken. Was wenn das schief geht. Sie braucht mich und ich brauche sie. Mir treibt es heute noch die Tränen in die Augen wenn ich daran denke welche Sehnsucht ich nach meinem Häschen hatte. Ich hatte keine Gedanken für mein ungeborenes Kind über, dass gerade dabei war sich seinen Weg durch mich hindurch zu erkämpfen. Alles in meinem Kopf drehte sich nur um meine große Tochter. Mein winziges Baby war in diesem Moment für mich überhaupt nicht greifbar.
Hebamme und Ärztin waren bereit, sie stemmten meine Beine hoch um mir den nötigen Widerstand zum pressen geben zu können. Einmal pressen und der Kopf war draußen. Doch es benötigte noch drei weitere Wehen eh es geschafft war. Meine Kraft war kurz davor mich zu verlassen und ich bat verzweifelt darum das man mir das Kind herausziehen würde. Doch bevor ich aufgeben konnte setzte diese sanfte und warmherzige Stimme wieder zur Motivation an. Ich danke Gott für diese Hebamme.
Sie legte mir das Äffchen auf die Brust und in dem Augenblick kam ihr Papa in den CTG Raum. Die nervige Hebamme welche ja eigentlich gleich wieder kommen wollte , hatte ihn in den falschen Raum, zur falschen Frau geschickt.
Äffchens Geburt hatte er verpasst. Äffchens Geburt war eine Katastrophe und eine der schlimmsten Erfahrungen die ich im Leben gemacht hatte. Aber ich war so voller Glück als ich dieses kleine Bündel Leben in den Armen hielt.

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